Am Samstag wurde ich vom Glückskind in meiner wunderschönen Lobby abgeholt und es ging zuerst noch mal in ein Antiquariat, weil ich dort noch ein Buch über die Geschichte des Fürstenhofes abholen wollte. Die Dame im Antiquariat berichtete dann gleich, daß sie dort ab und an abends sind und wie schön es dort ist, was ich ganz verzückt bestätigte. Daraufhin meinte sie dann aber, daß Leipzig an sich ja nicht so dolle wäre, schon gar nicht im Vergleich zu Berlin. Pfffffffhhhhh! Da war sie an die Falsche geraten. Ich habe ihr dann erklärt, daß das überschätzte Berlin nix hätte, was Leipzig nicht auch hätte (und wußte nicht, daß in dem Moment hinter mir das Glückskind ein schweres Buch erhoben hatte, um es mir auf den Kopf zu donnern - aus Angst vor Zeugen hat sie es dann gelassen). Doch, meinte die Antiquariatsdame, in Berlin könnte man morgens Champagner und einen halben Hummer verzehren, in Leipzig nicht (aber wer will denn das?). Daraufhin habe ich dann erst mal alles aufgezählt, was an Leipzig besser wäre, und seltsamerweise nahm die Dame daraufhin an, daß ich aus Berlin wäre (vielleicht dachte sie, wer diese Stadt gut kennt, mag sie nicht). Als sie das mir gegenüber dann sagte, war ich natürlich sehr empört und outete mich als Frankfurter, wo wir dann eine gemeinsame Basis hatten, da sie Frankfurt sehr schön fand. Schließlich schlug sie vor, ich könne doch bei meiner Leipzigbegeisterung eine Woche ihr Antiquariat führen (gerne!) und sie würde dafür eine Woche nach Frankfurt gehen und meine Arbeit machen. Auf ihre Frage "Sie machen doch hoffentlich nichts Kompliziertes?" mußte ich sagen, daß es schon etwas kompliziert wäre, konnte sie aber damit beruhigen, daß ich ja recht wenig arbeite.
Von dort ging es zum DDR Ostalgiemuseum, von wir gefragt wurden "Sind Sie behindert?", was zwar nur wegen der Ermäßigungen beim Eintritt gefragt wurde, uns aber doch etwas unvorbereitet traf. Das Museum hat viele interessante Stücke, aber leider gibt es keinerlei Beschriftungen und Erklärungen, es wirkt alles ein wenig ungeordnet. Interessant war es, aber für 6,50 Euro Eintritt hätte man mehr erwarten können. Schön ist es aber immer, die Erinnerungen gegenseitig auszutauschen und das haben wir natürlich getan.
Den Nachmittag verbrachten wir dann im Musikviertel, zuerst natürlich mit einem Essen in unserem Stammlokal "Kowalski" (bei dem das Glückskind mich immer brav um Erlaubnis fragt, bevor sie mit jemand andren dorthin geht), dann mit einer zuerst vergeblichen Suche nach der sehr malerischen Brücke im Johannapark. Diese ist wirklich sehr idyllisch und nicht ohne Grund ein beliebtes Fotomotiv, leider ist das Wasser unter ihr - wie mich das Glückskind vorwarnte - sehr geruchsintensiv. Aber der Park war nett, das Musikviertel hat ein paar sehr schöne Villen und ist sehr angenehm zu laufen. Danach wollte ich dann noch in die Universitätsbibliothek, die Albertina. Sie wurde im Krieg (ganz kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner) durch Bomben zerstört, aber wundervoll wieder aufgebaut. Das Treppenhaus alleine ist einen Besuch wert!! Gegenüber stand früher das herrliche zweite Gewandhaus, das ebenfalls zerstört wurde, heute ist dort nur ein scheußlicher Uni-Neubau. Aufgrund meiner intensiven Beschäftigung mit dem Vorkriegsleipzig mußte das arme Glückskind sich das ganze Wochenende anhören, was früher einmal an diversen Stellen stand, und meine wehmütigen Seufzer ertragen.
Ohne Völki geht Leipzig nicht (auch wenn ich das beim ersten Besuch noch anders sah). Nun zeigte das Glückskind, was in ihr steckt! Sie hat sich nicht von der irreführenden Beschilderung reinlegen lassen, hat meinen Google Maps Navi zu Recht ausgelacht und unbeirrt das Völki angefahren. Bald erstrahlte es dann also vor uns. Beeindruckend wie immer. Es war recht kalt, aber eine Runde wollten wir dort drehen. Vor dem Völki sahen wir dann einen Mann, der im Dunkeln Liegestütze machte, auf zwei Vorsprüngen des Denkmals stand eine Gruppe junger Leute und sang subversive Dinge vor einer Kamera. Beim letzten Besuch waren wir hier auf ein City Boot Camp getroffen. Ein Besuch lohnt sich wirklich immer

. Nachdem wir beide zu höflich waren, der jeweils anderen trotz der Kälte ein wenig Nikotinluftschnappen vorzuschlagen, waren wir schon fast wieder beim Auto, als wir uns dann doch irgenwie verständigten und noch mal zurückgingen, denn auch das Nikotinschnappen am Völki gehört dazu.
Zum Abschluß ging es in die Bar im Fürstenhof, sehr gemütlich konnte man dort sitzen und die Cocktails sind nicht zu verachten. Hunger bekam ich dann auch noch, aber da die Karte sehr fleischlastig war, habe ich einen profanen Teller Pommes erfragt und bekommen, zusammen mit schwerem Silberbesteck. So schick habe ich Pommes sonst noch nie gesessen. Hier haben wir nun stundenlang sehr literarisch diskutiert, das Glückskind hat nach einigen Cocktails ein wenig Schauspieltalent gezeigt und wir haben uns bis heute nicht geeinigt, ob der Satzanfang "Siehst Du," herablassend ist, oder nicht (ist er nicht).
Nachdem wir am Samstag etwas von der Dunkelheit überrascht worden waren, wurde für Sonntag besser geplant: zuerst Waldstraßenviertel (das größte zusammenhängende Gründerzeitviertel in Deutschland, wenn ich mich richtig erinnere), dann die "Drinnensachen". Das Waldstraßenviertel ist wirklich bezaubernd, die Häuser sind herrlich renoviert, es gibt einige originelle Bauten und Baudetails zu bewundern, begrenzt wird das Ganze vom hübschen Rosental. Eine nicht umsonst begehrte Wohngegend und für einen abwechslungsreichen Spaziergang sehr empfehlenswert.
Danach wollte ich eigentlich den Universitätshof ansehen - die Augustusplatzfassade der Universität wurde völlig neu gestaltet und hat sich gegenüber dem Bild zu DDR-Zeiten sehr verbessert. Verglichen mit dem hinreißend schönen Vorkriegsgebäudeensemble ist es allerdings nicht mein Fall. Der Innenhof war allerdings hermetisch versperrt und wir haben es wirklich mit viel Engagement versucht. Dafür hat das Glückskind einen neuen Eisladen entdeckt.
Dann ging es zum Stadtgeschichtlichen Museum. Das Glückskind ist kein großer Fan vom "altem Zeug", aber da sie wußte, wie gerne ich dorthin wollte, hat sie zugestimmt, daß wir dorthin gehen. Das fand ich sehr nett von ihr! In dem kleinen Laden, in dem wir die Eintrittskarten bekamen, plauderte die Kassiererin gerade mit einem Paar und sagte ihnen zum Abschied "Sie waren heute die nettesten Kunden." Na, da kannte sie uns aber noch nicht, ich habe ihr gleich gesagt, daß wir uns jetzt etwas ausgegrenzt fühlen, woraufhin sie strahlend meinte, wir wären ja noch nicht im Rennen gewesen und könnten uns noch qualifizieren. Ich habe also meinen gesamten Charme ausgepackt und war wohl ausnahmsweise tatsächlich mal nett (ob das Glückskind sich dabei in Grund und Boden geschämt habe, weiß ich nicht, aber immerin habe ich diesmal nicht Berlin gedisst). Wir waren daraufhin absolut im Rennen, wie uns die nette Dame mitteilte, es gab sogar Pluspunkte, weil ich in ganzen Sätzen gesprochen habe, was wohl nicht alltäglich ist bei den Museumskunden. Nachdem wir noch erfuhren, daß die nette Dame die besten Käsebemmen überhaupt macht, ging es dann ins Museum. (Und im Gegensatz zu meinen vorherigen Besuchen haben diesmal auch sehr viele Leute schönstes Sächsisch gesprochen, wundervoll!)
Oh, war das schööööööööööööööööööööööööööööööööööön!!! Ganz innovativ, abwechslungsreich, vielfältig. Auch das Glückskind war richtig interessiert und wir haben über zwei Stunden dort verbracht, sind komplett in die Geschichte eingetaucht, sind enge Treppen hochgekraxelt, haben über das Aussehen eines mittelalterlichen Schatzmeisters gelästert, über die Wirkung eines Schillergemäldes diskutiert, bei schönen Kleidern gekiekst, Toleranz gezeigt (ich bin in den Lutherraum gegangen, sie in den Wagnerraum, gegen unsere jeweilige Überzeugung). Es gab so viel zu sehen. Besonders unterhaltsam war ein Teil der Ausstellung zur Novemberrevolution 1918. Hier konnte man Videoaufnahmen von drei Leuten sehen, die zu der Zeit wirklich in Leipzig gelebt hatten und uns nun (natürlich von Schauspielern dargestellt, und wir wissen jetzt, daß Markus einen Nebenjob hat!) ihre Eindrücke der Revolution erzählten. Am Besten war eine Bilanzbuchhalterin, die im herrlichstem Sächsisch berichtete, wie das alles so auf sie wirkte. Mit den Sozis konnte sie nicht viel anfangen, und dann hätten die auch noch befohlen, daß man um 12 Uhr mit der Arbeit aufhören solle. Wo denn das hinführen solle, "e Revolution, wo mer mittags mit dr Arbeit aufheert"? Und wie das überhaupt zu verbuchen wäre, das würde sie als Bilanzbuchhalterin ja schon interessieren, "revolutionsbedingte Auslagen" etwa, und überhaupt wäre sie Bilanzbuchhalterin und also solche.... Sie war herrlich!
Nach so viel Geschichte und Gelaufe waren dann Hirn und Füße doch etwas überbeansprucht, also wurde es mal wieder Zeit für Alk im Fürstenhof. Diesmal in der Bar Wintergarten. Hach, es ist so schön dort! (Falls ich das noch nicht erwähnte). Ich wollte gleich mein Wohnzimmer so umgestalten, aber das Glückskind meinte, daß meine Räumlichkeiten vielleicht nicht so ganz dafür geeignet wären. Bevor wir unsere damaligen Studentenerfahrungen austauschten und überhaupt wieder viele interessante Themen hatten, hörten wir noch, wie ein asiatisches Paar ein Currywurst bestellte - es hätte mich sehr interessiert, ob diese ihnen geschmeckt hat.
Diesmal war das Glückskind klug und blieb beim Alkoholfreien, während mich ein Daiquiri ziemlich umwarf. Man kann nicht sagen, daß die da mit dem Alkohol in den Cocktails sparen....wow.
Am letzten Tag

wurde ich dann noch in die Glückskind'sche Residenz zum Frühstück geladen (und die kleine Vivian ist gaaaanz alleine mit der großen Straßenbahn dorthin gefahren, vom Glückskind vorher wohlausgestattet mit einem Fahrschein). Dort wurde ich so gut und reichhaltig verköstigt, daß ich bis zum Abend zufrieden und satt war. Die Katze ließ sich auch blicken und war sehr zutraulich, die erkennt eben richtige Katzenfreunde. Ich war ganz baff, wie ruhig sie miaute und überhaupt dezent war - ich bin wohl doch schon sehr daran gewöhnt, von Chester angeschrieen zu werden. Wir haben so viel geplaudert und auch weiter literarisch diskutiert und die Zeit ist geflogen. Schließlich mußten wir los, um noch den gestern vereitelten Besuch im Universitätshof zu machen. Hach, die Uniatmosphäre hat schon was, das stellten wir beide wieder fest (auch wenn die Mensa immer noch unappetitlich riecht). Jung sind die da alle, herrje, soooo jung! Erfreut entdeckte ich im modernen Hof und Gebäude auch noch einige alte Bauteile und das arme Glückskind wurde von mir en detail informiert, wie das alles daaaaaaamals vor dem Krieg ausgesehen hatte. Für jemanden, der altes Zeug nicht so schätzt, ist die Arme während meines Besuches ganz schön viel mit Geschichte zugeworfen worden.
Danach wollten wir eigentlich schon die Schillerbüste besuchen, aber die war von einem Holzhäuschen ummantelt - sie war durch Vandalismus sehr beschädigt worden. Schweinerei, sowas, wir waren beide ziemlich sauer.
Ja, und dann wurde mein Herz auch schwer, ein letztes Mal also ging es in den Fürstenhof (erwähnte ich schon, daß er wundervoll ist?), dann zum Bahnhof und dann war schon wieder Abschied angesagt. Wie immer ging die Zeit zu schnell, wie immer war das Glückskind eine tadellose und geduldige Gastgeberin, wie immer war mein Leipzig einfach wundervoll.
Danke, meine Gudste, daß Du auch nach dem Faust noch mit mir sprichst und den Geschichtskram so tapfer ertragen hast.